Nehmen wir den Begriff einmal wortwörtlich: Bei einer UNTERstellung stellen wir etwas unter – meistens unter eine Aussage oder Meinung oder unter das schlichte Da-Sein einer Person oder Gruppe, die uns nicht gefällt. In dem Moment, wo wir einer anderen Person oder Gruppe etwas UNTERstellen, steht diese – so können wir es uns bildlich vorstellen – nicht mehr mit beiden Füßen auf dem Boden. Standfestigkeit und Glaubwürdigkeit werden untergraben. Aber nicht durch einen Diskurs oder durch den Austausch von Meinungen auf Augenhöhe, sondern durch eine Unterstellung. Das ist der Sinn von Unterstellungen: der Angriff auf die Integrität einer Person, einer Meinung, einer Haltung oder einer Erkenntnis, die dem eigenen Narrativ widerspricht.

Anstelle sich produktiv mit dem mentalen Stachel auseinanderzusetzen – sich einander VORZUSTELLEN – wird versucht, die andere Person oder Gruppe durch eine Unterstellung zu Fall zu bringen, sie gesellschaftlich auszugrenzen.

Eine Unterstellung ist ein VORurteil – also ein Urteil, das wir uns bilden, ohne uns mit der Person und dem, was sie verkörpert, auseinanderzusetzen. Vorurteile kennen wir Frauen ziemlich gut. Die Unterstellungen, die mit diesen Vorurteilen verbunden sind, begegnen uns immer noch häufig. Grundsätzlich kennen alle Menschen, die einer wie auch immer gearteten Minderheit angehören, Unterstellungen. Unterstellungen sorgen dafür, dass keine dieser Gruppen mühelos und mit Leichtigkeit in die Gesellschaft oder in bestimmte Rollen und Funktionen integriert wird, sondern mehr Anstrengungen unternehmen, mehr Argumente vorbringen muss und sich immer in einem Grundstatus der Selbstverteidigung in Bezug auf die eigene Person befindet.

Gleiches gilt, wenn wir als Bürgerin oder Bürger auf einmal einem Mainstream-Narrativ nicht mehr folgen wollen oder können. Wenn Fragen gestellt und Antworten gefordert werden. Dann brechen diese Menschen aus der Masse aus – und werden urplötzlich zu MINDERheiten – auch dieses Wort ist bezeichnend. „Minder” steht für einen „geringeren Grad”, von „minderer” Qualität – also für etwas mängelbehaftetes.

Allein im Wort Minderheit steckt schon eine Unterstellung. Und die scheint zu einem Automatismus der Masse zu führen – die sich nämlich nun an diesem Mangel, dem Minderbemittelten, dem mit minderer Qualität reibt und unterstellt, nicht „normal”, vor allem aber nicht „massenkonform” zu sein. Durch die Unterstellung wird der schwache Gesellschaftsstatus einer Minderheit doppelt untergraben und gleich mehrfach geschwächt.

Tatsächlich kommt kaum jemand, der unterstellt, auf die Idee, sich den Minderheiten vorzustellen, sich also vor sie zu stellen, sich mit ihnen auf Augenhöhe auszutauschen und in einen offenen Diskurs zu gehen, der bei mündigen Erwachsenen eigentlich als selbstverständlich vorausgesetzt werden sollte.

Genau hier entsteht ein Problem, denn eine Gesellschaft, die Unterstellungen nicht nur billigt, sondern (auch politisch top-down) offen provoziert und durch diese Unterstellungen aus der Gesellschaftsmitte heraus Minderheiten gebiert, ist eine Gesellschaft, die totalitären Mechanismen schon längst erlegen ist. Eine solche Gesellschaft ist nicht mehr demokratisch.