Im Wort Freiwilligkeit stecken zwei essenzielle und existenzielle Begriffe: Freiheit und Wille. Beide wurden in keinem Wissenszweig je vollständig definiert. Und das ist wenig verwunderlich, weil Freiheit vom individuellen Willen abhängt und umgekehrt, zumindest, wenn wir über FreiWILLIGkeit sprechen.
Um meinen Willen auszuüben, muss ich etwas wollen. Sobald ich etwas will, übe ich eine Form von Freiheit aus, die mir qua meiner Geburt zusteht – so sagt es zumindest Sartre, der davon spricht, dass der Mensch zur Freiheit verdammt ist, denn sobald er “in das Leben geworfen” wird, ist er frei, Entscheidungen zu treffen. Jeder freien Entscheidung steht aber gleichzeitig auch die Verantwortung gegenüber. Auch das hat Sartre sehr klar formuliert. Freiheit und (Selbst-)Verantwortung sind zwei Seiten einer Medaille.
Demnach müsste Freiwilligkeit das Wollen zu einer Entscheidung umfassen, die in ein Tun oder Unterlassen mündet, für das ich die individuelle Verantwortung trage und auch bewusst übernehme.
Was aber passiert nun, wenn z.B. Regierende bei bestimmten Themen auf “Freiwilligkeit” setzen, die Menschen individuell dieser Freiwilligkeit im Sinne Sartres nachkommen, das Ergebnis der Freiwilligkeit aber nicht den Erwartungen der Herrschenden oder einer wie auch immer gearteten Mehrheit entspricht?
Diese Freiwilligkeit kann – zumindest noch nicht – qua Gesetz zu einer Pflicht werden, vor allem dann nicht, wenn die geforderte Freiwilligkeit das Recht der Unversehrtheit von Körper und Persönlichkeitsrechten massiv unterbindet.
Diese Freiwilligkeit kann aber indirekt erzwungen werden, wie wir gerade feststellen. Nämlich dadurch, dass die Freiwilligkeit an völlig neue Bedingungen geknüpft wird, die – erneut – massive Eingriffe in die rechtliche und soziale Freiheit von Menschen nach sich ziehen.
Dieser Zwang bräuchte nicht einmal politisch geäußert werden, denn wenn es aus der Gesellschaft heraus eine vermeintlich genügend starke Mehrheit gibt oder der (existenzielle) Druck auf bestimmte Gesellschaftsschichten einfach Schritt für Schritt erhöht wird, so dass die Bedingungen zur Alternativlosigkeit werden, dann braucht der Staat nichts mehr tun.
Die Gesellschaft setzt – in vorauseilendem Gehorsam oder in existenzieller Verzweiflung – den Zwang zur Freiwilligkeit von alleine durch. John Stuart Mill spricht in diesem Zusammenhang übrigens von SOZIALEM TERROR, der aus der Gesellschaft gegen die eigene Gesellschaft wirkt und so der Freiwilligkeit den Sauerstoff entzieht.
Wenn das erreicht ist, kann jedoch von Freiwilligkeit keine Rede mehr sein. Hier handelt es sich dann meiner Meinung nach um FREIHEITSBEUGUNG, die durch Zwang entsteht. Das Individuum beugt sich – gegen den eigenen freien Willen, gegen persönliche Überzeugungen und gegen die persönliche Verantwortung, die es zu tragen bereit ist – um vermeintliche Freiheit wiederzuerlangen.
Doch welchen Wert hat die durch Freiheitsbeugung erlangte Freiheit noch, wenn sie nicht auf freiem Willen beruht? Wer Freiheitsbeugung begeht – entweder durch ausgeübten Zwang oder durch die Annahme der Zwangsmaßnahmen – kann sich ab jetzt jeglicher Verantwortung entziehen.
Wer den Zwang ausübt, kann sich darauf berufen zu sagen: Alle Maßnahmen beruhten auf Freiwilligkeit. Dass die damit verbundenen Bedingungen zur Rückgewinnung der Freiheiten einem gewissen Zwang unterliegen, ist der Situation geschuldet. Der andere muss sich diesem Zwang ja nicht beugen.
Und diejenigen, die sich gezwungen sehen, sich dem Zwang zu beugen – wider ihres Gewissens, ihrer Überzeugungen und wider der Bereitschaft für bestimmte Handlungen Verantwortung zu übernehmen – können selbst auch jegliche Verantwortung von sich weisen, denn sie fühlten sich einem Zwang ausgesetzt. Sie können die Schuld auf andere schieben und werden nun zu Opfern und vielleicht sogar zu Märtyrern.
Doch wenn unsere Gesellschaft als Ganzes wissen- oder unwissentlich, bewusst oder unbewusst, absichtlich oder unabsichtlich Zustände schafft, in denen Freiheitsbeugung durch Zwang normal und sogar gesellschaftlich geduldet wird (nach John Stuart Mill also sozialen Terror ausübt), wer trägt dann am Ende die Verantwortung?
Ich befürchte, wir werden uns irgendwann eingestehen müssen, dass diese Frage nie abschließend geklärt wurde – auch nicht in unserem Grundgesetz.